Seit Wochen fährt die Polizei wieder schwere Geschütze gegen die Bewohner der Rigaer auf. Die Hausgemeinschaft wird regelrecht belagert und Anwohner*innen provoziert. Die Berliner Boulevardmedien suhlen sich in den belanglosen Polizeimeldungen, die Verhalten außerhalb bürgerlicher Norm skandalisieren und kriminalisieren. Die Situation wird sich wohl bei einer Ausgangssperre weiter verschärfen.
#Cops came on time and are in front of @rigaer94 again to do what they are good in: annoying and molesting people.#Rigaer#Dorfplatz
#Germany Act with banner and smoke bombs against police States and State repression at Rigaer Str. 94 squat in #Berlin's Friedrichshain neighbourhood last night. pic.twitter.com/m0RbtTKxmu
Die Schläger der neuen Präsenzeinheit lassen sich heute Abend nicht in der #Rigaer blicken. Anscheinend waren die 30 Menschen, die Reden und die Kundgebung vor der #R94 gestern zu viel für die Neulinge. #Keimzelle#NordKiez
Alle, die in Connewitz Opfer von Polizeigewalt geworden sind, sollen sich melden. Betroffene sollten sich gut überlegen, ob sie das machen möchten. Selbst wer glaubt, eindeutige Beweise zu haben, sollte vorher mit einem Anwalt prüfen, ob es lohnt, die Staatsanwaltschaft zu informieren.
Neutrale Ermittlungen? Nicht zu erwarten.
Viele sagen, wenn sich niemand melde, werde Polizeigewalt weiterhin nicht ernst genommen. Menschen müssten ihren Mund aufmachen. Schließlich gäbe es Demokratie nicht zum Nulltarif. Doch haben Menschen, die Polizeigewalt erfahren haben ihren Beitrag nicht bereits geleistet? Und überhaupt, warum sollte sich mensch einem Verfahren aussetzen, dessen Folgen unberechenbar sind?
Betroffenen die Verantwortung dafür aufzubürden Missstände abzustellen, ist wohl einer der Schwachpunkte, der bundesrepublikanischen Demokratie, denn es gibt keine neutrale Stelle zur Aufklärung von Polizeivergehen, von proaktiven Strukturen oder Maßnahmen mal ganz abgesehen.
Es gibt genug mutige Menschen, die ihre Erfahrungen von Polizeigewalt zur Anzeige gebracht haben. Die Ergebnisse dieser Anzeigen sprechen eine klare Sprache: Systemfehler. In den meisten Fällen erhält diejenigen die Polizeigewalt zur Anzeige bringen, postwendend eine Gegenanzeige und müssen den Verdacht ausräumen, selbst gewalttätig gewesen zu sein.
Genau so ist es, ich wurde auch als Jugendlicher von der Polizei zusammen geschlagen. Anschließend hatte ich eine Anzeige wegen Widerstand am Hals.
Häufig werden Ermittlungen gegen Polizeibeamte eingestellt. Der Vorwurf gegen die Opfer bleiben bestehen. Wird ein Verfahren nicht eingestellt, wiegt die Aussage einer Polizistin vor Gericht schwerer, als die einer Zivilistin.
Anna und Anton schreiben ein Gedächtnisprotokoll
Wenn du Opfer von Polizeigewalt sein, sorge dafür, dass du alle Beweise gut sicherst. Dazu gehört auch deine Erinnerung.
Schreibe in jedem Fall ein Gedächtnisprotokoll und verwahre es an einem sicheren Ort.
Bewahre Fotos und Videos an mindestens zwei sicheren Orten auf
Verständige Rechtshilfe- bzw. Anti-Repressionsstrukturen bei dir vor Ort
Bitte sichert alle Beweise und Protokolle. Polizei und auch Staatsanwaltschaft werden Mittel und Wege finden. Hier ein Beispiel aus Leipzig im Anschluss an den erfolglosen Aufruf. Auch „Grundprinzipien des demokratischen Staates“ geraten dann ins Wanken.
Nach unseren Recherchen zu möglicherweise illegaler Polizeigewalt in Connewitz hat die Staatsanwaltschaft unserem freien Mitarbeiter @x_xjochen geschrieben. Wir sollen Kontaktdaten aller mutmaßlich Betroffenen und Zeugen sowie Videos im Original und die Urheber herausgeben. 1/5 https://t.co/7ZCUDgvUYX
An dieser Stelle sollte eigentlich eine Chronologie der Ereignisse zur Silvesternacht in Connewitz geplant. Dieser hat sich nun erübrigt, nachdem die Polizei Leipzig selbst per Salamitaktik ihre ursprüngliche Meldung, die einen Mordversuch an einem Polizisten nahelegte, relativiert. Was genau in der Nacht geschah, ließ sich zunächst schwer nachvollziehen. Viele Redaktionen übernahmen die Version der Polizei unüberprüft, obwohl anhand von Tweets zu #le3112 und #le0101 die Ereignisse sich bereits anders rekonstruieren ließen.
Das Polizei sich politisch einmischt, ist kein Einzelfall. Polizei war schon immer politisch und so war die Silvesternacht in Leipzig nicht das erste Mal und wird auch nicht das letzte Mal sein, dass über Pressemeldungen und Social-Media-Kanäle von Polizeibehörden die Unwahrheit verbreitet wird.
Nach der Silvesternacht im Leipziger Stadtteil Connewitz schaukeln Staatsanwaltschaft und Politiker in den Beschreibungen der Nacht nach den Meldungen der Polizei immer weiter hoch, doch am Ende zerbröseln die Vorwürfe und die Polizei rudert zurück.
Vor den angekündigten gemeinsamen Protesten von Ende Gelände und verschiedenen Fridays For Future-Gruppen schickt die Polizei Aachen einen Brief an Schulen in Nordrhein-Westfalen. Darin sind verschiedene Aussagen enthalten, die sich als falsch herausstellen.
An Pfingsten 2018 erfand sie einen politisch motivierten gefährlichen Angriff einer Menschenmenge auf das Haus eines Polizisten im niedersächsischen Hitzacker, und Medien bis nach Bayern gaben den Fall ohne eigene Recherche so wieder.
2017
Während des G20-Gipfels in Hamburg gab es einige fragwürdige Meldungen der Polizei Hamburg, die im folgenden Artikel aufgelistet sind:
Ebenfalls 2017 verbreitet die Polizei während der Räumung des Friedel per Tweet der Verdacht, der Türknauf einer Außentür sei mit einer tödlichen elektrischen Spannung versehen.
Im Februar 2016 wurden Berliner Polizisten bei einer Demonstration „vermutlich mit chemisch behandeltem Konfetti beworfen“, mutmaßte die B.Z. Berlin, weil sich Polizeiuniformen nach der Berührung mit dem Konfetti etwas verfärbt haben sollen. Zwei Wochen später gab dieselbe Zeitung Entwarnung: Am Konfetti waren keine Chemikalien festgestellt worden. Gelitten hatte darunter sowieso niemand.
2015
Um eine angeblich „mit Benzin gefüllte Flasche“ ging es auch beim G7-Gipfel in Elmau im Jahr 2015. Hier behauptete die Polizei auf Twitter, dass sie mit einer solchen Flasche beworfen worden sei, und rechtfertigte damit einen Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken gegen Demonstranten. Im Nachhinein zog sie die Aussage mit der Benzin gefüllten Flasche zurück. Beim gleichen Gipfel stellte die Bundespolizei durch die Verwendung eines Hashtags Dinge in Zusammenhang, bei denen es nicht unbedingt ein Zusammenhang besteht. Die falsche Kontextualisierung ist eine Methode von Fake-News. Sie kann einen Protest gefährlicher aussehen lassen, als er wirklich ist: „Erfolgreiche Grenzkontrollen an der A 93 – diese verbotenen Waffen haben wir heute beschlagnahmt #G7 #G7Summit“
2014
Als die Hamburger Polizei 2014 ein Gefahrengebiet ausrief, in dem sie besondere Befugnisse hat, diente unter anderem ein erfundener Angriff von 30 bis 40 Menschen auf eine Polizeiwache als Rechtfertigung.
Immer donnerstags geht die rechtsradikal Gruppe, die sich selbst Steeler Jungs nennt, in Essen-Steele auf die Straße. Jeden Donnerstag sind Antifaschist*innen von Essen Stellt Sich Quer, Aufstehen gegen Rassismus Essen, von der Antifa Essen-Westoder anders organisiert dabei. Dabei wird immer wieder das zweierlei Maß der Polizei deutlich (wie im Tweet von ESSQ angedeutet).
Am 19.12.2019 kam es in diesem Zusammenhang zu einem Polizeieinsatz gegen Antifaschist*innen. ESSQ hat zu diesem Vorfall jetzt einen Bericht veröffentlicht.
Am Samstagmorgen (28.12.2019) starb ein Mensch, der wohl an einer psychischen Erkrankung litt, nachdem Polizist*innen geschossen hatten. Angeblich hatte der Mensch, der in der Meldungen männlich gelesen wird.
Damit wurden im Jahr 2019 jetzt 15 Menschen (alle männlich), viele waren psychisch vorbelastet oder zum Zeitpunkt der Polizeimaßnahme in einer psychischen Ausnahmesituation.
Durch Polizeischüsse getötete Menschen im Jahr 2019
Polizeigewalt ist mehr als physische Gewalt durch Polizist*innen. Jede Überwachungsmaßnahme, jeder Einschüchterungsversuch ist Teil der Gewalt durch Polizei. Trotzdem wird diese Gewalt immer besonders tragisch deutlich, wenn ein Menschenleben zu Ende geht. Stand heute (19.12.2019) sind im Jahr 2019 14 Menschen an den Folgen von Schüssen von Polizist*innen verstorben. Der höchste Wert seit 20 Jahren. 2018 starben elf Menschen, 2017 sieben. (Screenshot: taz-Dossier Polizeitote)
Über das Jahr verteilten sich die Fälle ziemlich ausgewogen. Wie auch in vergangenen Jahren waren November und Dezember tödlicher als die anderen. Hoffen wir, dass dies alle Toten für 2019 sind.
In 2019 waren alle Opfer von Polizeischüssen männlich.
Eine überwältigende Zahl der Getroffenen (>85%) ist jünger als 50 Jahre alt. Die meisten (6) unter 30 Jahre. /5
Nach Bundesländern:
In neun Bundesländern gab es Tote als Folge von Schüssen von Polizist*innen. In NRW sind im vergangenen Jahr mit fünf die meisten Menschen von Polizeikugeln getötet worden. Außerdem aufgeschlüsselt in Relation zu Einwohnerzahl.
Da sich Polizeigewalt auch immer besonders gegen marginalisierte Gruppen der Gesellschaft richtet, habe ich versucht, zu recherchieren, ob es sich bei einem Opfer um ein PoC oder Mensch in einer Geflüchteteneinrichtung handelt.
Laut Polizeimeldungen sind die Beamt*innen immer „gezwungen“ gewesen zu schießen. Tatsächlich wurde nur in zwei Fällen ein SEK dazugerufen.
250 Polizisten und Spürhunde, ein evakuierter Weihnachtsmarkt in Berlin. Zwei Menschen kommen vorübergehend in Gewahrsam. Panik in den sozialen Netzwerken und einigen übereifrigen Medien. Nach einer mehrstündigen Suchaktion stellt sich heraus: Fehlalarm. Was war passiert? Nach der Aktion rechtfertigt die Polizei das Vorgehen. Eine Sprecherin nennt das Handeln der Polizist*innen „sensibel.“ Berlins Innensenator Andreas Geisel unterstützt den Einsatz einem abschließenden Ergebnis vorauseilend. Der Einsatz habe gezeigt, „dass sich unsere Sicherheitsbehörden nicht im Routinemodus befinden und weiter wachsam sind“. Die Angaben der Polizei sind noch spärlich. Aber auch die wenigen Informationen zu dem Fall, deuten auf fragwürdiges Verhalten der Polizei hin.
Unsere Kolleg. hatten am Abend zwei Personen, die sich verdächtig am #Breitscheidplatz verhielten, festgestellt und daraufhin überprüft.
1. „Verdächtiges Verhalten“ – Racial Profiling out of control?
Die Geschichte beginnt mit zwei Personen, die „verdächtig am Breitscheidplatz verhielten.“ Zunächst ist unklar, was die Menschen verdächtig macht. Der Eindruck drängt sich aus den Tweets der Polizei Berlin auf, das der Auslöser für die Maßnahmen ein Racial Profiling war. Auch die spätere Pressemeldung räumt diese Vermutung nicht aus. Dort heißt es:
Uniformierte Polizeikräfte bemerkten gegen 18.45 Uhr zwei Männer, die sich sehr zügig von dem derzeit am Breitscheidplatz stattfindenden Weihnachtsmarkt entfernten und hierbei andere Besucherinnen und Besucher des Marktes anrempelten sowie beiseite drängten. Die Polizeikräfte entschieden sich dazu, die beiden Personen in der Tauentzienstraße zu überprüfen.
Es gibt Vermutungen, dass die Männer schon vorher beobachtet wurden. Auch wenn Racial Profiling in Deutschland eigentlich illegal ist, sind äußere Merkmale bei Weihnachtsmarktbesucher*innen die einzigen Anhaltspunkte für Polizei, um Menschen zu kontrollieren. Es liegt nahe, dass in einer Gesellschaft voller strukturellem Rassismus verschiedene Menschen unterschiedlich betroffen sind. Sicherheit für die einen bedeutet Unsicherheit für alle anderen.
2. Wieder ein Fehler beim ID-Verfahren
Während auf dem Breitscheidplatz eine mulmige Ungewissheit herrscht, werden die Personalien der beiden festgehaltenen Männer überprüft. Dabei unterlaufen der Polizei Fehler, die dazu führen, dass der Weihnachtsmarkt geräumt wird. In der Polizeimeldung liest sich das so:
Im Rahmen der Überprüfung ergaben sich anfänglich Hinweise auf eine internationale Fahndung in islamistischem Kontext. Darüber hinaus haben beide Männer salafistischen Bezug.
Auch in einem anderen Fall in Neukölln führte der fahrlässige Umgang mit dem Namen eines von rechtem Terror Bedrohten durch die Polizei zu einer gefährlichen Situation.
3. Medienarbeit
Sensibel war leider auch nicht die Informationspolitik der Polizei. Bis zum Ende der Maßnahme hielt die Polizei alle Meldungen offen und öffnete damit das Feld für Spekulation. Bild, Sun und andere spekulierten dementsprechend fleißig. Um 8.22 Uhr schreibt die Polizei den ersten Tweet. Und der ist bereits handwerklich schlecht: „möglicherweise verdächtig“ ist eigentlich alles. Damit ein Weihnachtsmarkt geräumt und eine Bahnstation gesperrt wird, sollte doch zumindest ein Hinweis auf einen verdächtigen Gegenstand vorhanden sein.
Aktuell sind unsere Kolleg. am Weihnachtsmarkt #Breitscheidplatz im Einsatz und räumen diesen, um Hinweisen auf einen möglicherweise verdächtigen Gegenstand nachzugehen. ^tsm
Danach folgt stückchenweise mehr Information. Erst als die Suche nach dem Gegenstand beendet ist, gibt es Entwarnung und auch die bleibt ziemlich offen („Ein gefährlicher Gegenstand wurde nicht gefunden.“ Ist er dann bloß gut versteckt?). Auf die Spekulationen die zu der Zeit im Umlauf sind, geht die Polizei nicht ein.
Dass es auch anders gehen kann, zeigte die Polizei Münster rund um den Anschlag am Kiepenkerl im April 2018. Die besonnene Kommunikation war für viele Medien zuerst irritierend, stellte sich aber als richtig heraus, um die Spekulationen im Keim zu ersticken. In mehreren Tweets bat die Polizei darum, Spekulationen zu vermeiden. Die Polizei in Berlin tat das nicht – im Gegenteil.
#Kiepenkerl#Münster Bitte unterlasst die Spekulationen. Wir sind vor Ort und informieren Euch hier aktuell
Warum das vorauseilende Rückenstärken der Polizei gefährlich ist
Wenn Politiker*innen jetzt die Polizei für den Einsatz am Breitscheidplatz loben, führt das wohl eher nicht dazu, dass die genannten Fehler nicht aufgearbeitet werden. Klar ist es angenehm sich in Sicherheit zu wähnen, in einem Zustand die Polizei Menschen ansieht, wenn sie einen Terroranschlag planen und so die Sicherheit der meisten gewährt ist. Gerade die Abläufe, die zu dem Fehlalarm in Berlin führten, bergen eine große Gefahr für bereits marginalisierte Gruppen, z. B. Menschen, die PoC oder muslimischen Glaubens sind. Eigentlich reicht schon ein Name, der nicht Müller oder Meyer lautet, um eine andere Behandlung durch Polizeibeamt*innen zu erhalten. Nennt sich struktureller Rassismus.