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Tod in Gewahrsam

Posted: März 11th, 2021 | Author: | Filed under: In eigener Sache | Tags: , , | No Comments »
Qosay

Rest in Power

Am Samstag, den 06.03.2021, bricht ein junger Mann in Polizeigewahrsam zusammen und verstirbt anschließend. Der 19-jährige Qosay war zuvor von Zivilbeamt_innen der Delmenhorster Polizei in einem Park festgenommen worden — wegen Verdacht auf Betäubungsmittelkonsum. 

Zum Ablauf der Ereignisse gibt es widersprüchliche Darstellungen. Laut Polizeibericht sei die Lage während der Kontrolle eskaliert, als Qosay einen Beamten mit der Faust geschlagen habe, woraufhin die Beamt_innen Pfefferspray einsetzten. 
 
Denkbar wäre aber auch, dass die Polizist_innen die Situation selbst von vornherein eskalativ angegangen sind, als sie sich auf ihr rassifiziertes Opfer stürzten, das sie beim Drogenkonsum erwischt hatten. Bewusst provozieren sie Qoray, schubsen ihn, schlagen ihn, treiben ihn in die Enge, wohlwissend dass sie am längeren Hebel sitzen. Mögliche bekannte Wechselwirkungen mit verschiedenen Substanzen ignorieren die Beamt_innen, als sich ihr Gegenüber wehrt. Obwohl Qoray das Pfefferspray nicht gut verkraftet und ohnmächtig wird, stecken sie ihn in eine Zelle. Als er nicht mehr reagiert, wird ein Notarzt gerufen. Zu spät.
 
Den tatsächlichen Hergang werden wir wohl nie erfahren, denn die Ermittlungen werden nicht unabhängig geführt. Aus “Neutralitätsgründen” ermitteln derzeit die Kollegen aus dem 20 Autominuten entfernten Oldenburg. Wie in so viele ähnliche Fällen in der Vergangenheit wirft die vorliegende Situation Fragen auf. Dabei legen bereits die spärlichen Details zum Ablauf nahe, dass dieser Tod auch zu vermeiden gewesen wäre.

Als #PolizeiAbschaffen-Kollektiv ist es uns wichtig, einige Details zu diesem Fall aus unserer Sicht einzuordnen:

Der Fall zeigt sehr anschaulich das ganze System auf, das Gewalt und immer wieder Morde an Menschen erzeugt. Hat die Polizei Qosay ermordet? Die Debatte ist müßig, denn es geht hier um ein strukturelles Problem, bei dem wohl kaum jemand bestreiten kann, dass Qosay noch leben würde, wenn die Polizei gar nicht erst eingegriffen hätte.

1. Zivilstreifen im Park

Das Problem beginnt damit, dass Polizist_innen in zivil durch einen Park in Delmenhorst (Wollepark) schleichen. Offensichtlich tun sie das mit dem Ziel, Menschen bei verschiedenen Verstößen gegen die “öffentliche Ordnung” zu ertappen und dafür zu belangen.
 
Warum ist ein solcher Einsatz von zivilen Sicherheitskräften eigentlich notwendig? Wessen Sicherheit wurde im vorliegenden Fall gewahrt und wer hat überhaupt etwas davon, wenn junge Menschen beim Kiffen im Park verhaftet werden? 
 
In einer Welt ohne Polizist_innen jedenfalls würden alle selbst darüber entscheiden können, was sie konsumieren.
 

2. Kriminalisierung von Betäubungsmittelkonsum

Polizist_innen, die in zivil durch Parks streifen, um (vermutlich) Cannabis-Konsument_innen mit Gewalt (zur Not auch tödlich) zu schikanieren. Wir wissen nicht genau, um welche Substanz es sich hier gehandelt hat. Das spielt aber auch keine große Rolle. Wer bspw. im Freien Cannabis konsumiert, begeht damit keine Straftat. Es gibt auch keine direkt Geschädigten, die durch die Polizei beschützt werden müssten.
 
Trotz der gesetzlichen Möglichkeit, von einer Strafverfolgung abzusehen – Qosay würde dann noch leben (!!!) – werden Drogenkonsument_innen systematisch Ziele von Polizeigewalt.
 
Wann kommt eine progressive Drogenpolitik, die Abhängige nicht kriminalisiert und dafür sorgt, dass sie nicht mehr Konflikte mit Polizist_innen erdulden müssen, sondern Hilfe erfahren?
 
Andere Länder (z.B. USA, Portugal, uvm.) haben hier längst die Konsequenz gezogen, dass zwischen dem Problem und seiner vermeintlichen “Lösung”, welche allzu häufig Gewalt und sogar Todesopfer mit sich bringt, keinerlei rationales Verhältnis besteht, und den Besitz und Konsum entkriminalisiert. 

3. Rassistische Polizeibrutalität

Migrantifizierte und rassifizierte Menschen werden häufiger Opfer von Polizeigewalt. Seit 1990 zählt Death in Custody 180 Todesfälle von Nicht-Weißen in deutschem staatlichen Gewahrsam. Allein 2020 gab es 12 bekannte Fälle rassifizierter Menschen, die in Gewahrsam starben.
 
Wann wird der strukturelle Rassismus der Polizeibehörden endlich als Problem erkannt und bekämpft?
 

4. Informationsgefälle und Pseudo-Neutralität

Immer, wenn es im Zusammenhang mit einem Polizeieinsatz zu Toten kommt, wird das Ermittlungsverfahren an eine benachbarte Behörde übergeben. Für Delmenhorst ist im vorliegenden Fall Oldenburg benannt worden. In den diesbezüglichen Polizeimeldungen ist davon die Rede, dass auf diesem Wege die Neutralität der Ermittlungen gewahrt werden soll. Dieses Narrativ wird in der Regel verbatim von den Mainstreammedien übernommen, obwohl schon seit einiger Zeit selbst der Deutsche Journalistenverband davor warnt. 
 
Ermittlungen von Polizist_innen gegen Polizist_innen unter Einbezug einer voreingenommenen Staatsanwaltschaf können nicht neutral sein. Insbesondere wenn es sich um den Tod von Migrant*innen und BIPoc+ durch ein rassistisches Copsystem handelt, welcher dann von einer auch insitutionell rassistischen Justiz aufgeklärt werden soll. Regelmäßig werden diese Ermittlungen insbesondere bei Tötungsdelikten vorzeitig aufgrund von vermeintlicher Notwehr- und Nothilfe-Handlungen eingestellt.
 
Wann wird es in derartigen Fallen endlich Ermittlungen durch unabhängige Instanzen geben? Wie kann das Narrativ-Monopol der Polizei eingeschränkt werden?
 
In Anbetracht der anstehenden Wahlen (u.a. Bundestag) ist für uns leider klar, dass keine Partei das Thema #PolizeiAbschaffen in ihr Wahlprogramm aufnehmen wird. Die Schaffung einer unabhängigen öffentlichen Kontrolle der Polizei und die Stärkung der Rechte der von Polizeigewalt und -brutalität besonders betroffenen Menschen wären wichtige erste Schritt in diese Richtung. Wir wünschen uns daher, dass diese Anliegen auf die Straßen getragen und endlich gebührend sichtbar werden, wie heute zum Beispiel bei abendlichen spontanen Demos mit hunderten Teilnehmer_innen in Frankfurt und Bremen geschehen.
 
Wir solidarisieren uns mit den Angehörigen und Freund_innen von Qosay und mit allen Betroffenen von Polizeigewalt und staatlicher Diskriminierung. No justice, no peace!
 
Das #PolizeiAbschaffen-Kollektiv ist eine Gruppe von Menschen, die die Vision einer Welt ohne staatliche Gewalt möchte. Mit dem ersten #PolizeiAbschaffen-Camp im August 2021 soll ein Forum für alle geschaffen werden, die sich eine solidarische Welt ohne Polizei und Repression wünschen.